Mündliche Frage von Frau Neycken-Bartholemy an Minister Franssen
Zum Sitzenbleiben
Regierungskontrollsitzung des Ausschusses III vom 11.09.2025
Die französische Gemeinschaft Belgiens hat 2017 in ihrem „Pacte pour un Enseignement d’excellence“ das Ziel ausgerufen, Schuljahreswiederholungen deutlich zu verringern. Die Entscheidung war eine Reaktion auf die 48% der Schülerinnen und Schüler der damals 15-Jährigen, die mindestens schon einmal ein Schuljahr wiederholen mussten. Laut dem aktuellen OECD-Bericht hat sich diese Summe inzwischen auf 39,5% abgesenkt. Die Summe hat sich also um 13% verringert, dennoch ist die Quote immer noch sehr hoch. “Le redoublement est inefficace, socialement injuste et favorise le retard scolaire” ist die Meinung von fünf Pädagogen der Universität Lüttich und der Katholischen Universität Löwen, welche ich aus der Zeitung “Le Soir” vom 22. August zu diesem Thema zitieren möchte.
Auch in der DG stellt das Sitzenbleiben ein Problem dar, über das in der Vergangenheit schon mehrfach in diesem Hause diskutiert wurde. Die DG hat in ihrer Vision „Ostbelgien 2040“ das Ziel „das Wohlbefinden der Lehrenden und Lernenden zu fördern“ formuliert. Dazu gehört aus Sicht der SP-Fraktion zweifellos die Reform des Sitzenbleibens, das in seiner jetzigen Form nicht mehr zeitgemäß ist.
Dazu haben wir folgende Fragen an die Regierung:
- Gibt es aktualisierte Daten für die Schulen aus der Deutschsprachigen Gemeinschaft über die Anzahl an Schülern, die ein Schuljahr wiederholen mussten?
- Welche Rolle wird die Reform des Sitzenbleibens bei der Umsetzung der Vision “Ostbelgien 2040“ spielen?
- Welche konkreten Maßnahmen plant die Regierung, um das Sitzenbleiben zu reformieren?
Einschalten! Björns Frage in der öffentlichen Sitzung von Ausschuss III
Antwort des Ministers:
Sehr geehrte Frau Vorsitzende,
sehr geehrte Frau Neycken-Bartholemy,
werte Kolleginnen und Kollegen,
Im Schuljahr 2024-2025, Stand 1. April 2025, wiesen 1.206 von insgesamt 4.482 Schülerinnen und Schülern in den Sekundarschulen der Deutschsprachigen Gemeinschaft einen Schulrückstand auf. Dies entspricht einem Anteil von 26,9 %. Der Großteil dieser Schüler – rund drei Viertel – hat dabei einen Rückstand von einem Jahr (882 von 1.206).
Die konkreten Daten zur Klassenwiederholung werden derzeit noch nicht erhoben. Diese Zahlen sollen im Rahmen des geplanten Bildungsmonitorings erfasst werden. Ziel dieses Monitorings soll es sein, unser Bildungswesen durch die systematische, kontinuierliche und datengestützte Beobachtung und Analyse von Indikatoren besser zu erfassen, zu verstehen, zu steuern und weiterzuentwickeln.
Um auf die Zahlen zum Schulrückstand zurückzukommen, die hoch erscheinen mögen, so ist es mir wichtig zu betonen, dass dies nicht zwingend auf eine Klassenwiederholung oder, um Ihren Wortlaut zu nutzen, Sitzenbleiben, zurückzuführen ist. Ein Schulrückstand kann auch aus einem späteren Schuleintritt, einem Schulwechsel, oft aus anderen Bildungssystemen, längeren Abwesenheiten oder der Situation von erstankommenden Schülerinnen und Schülern resultieren.
Die Entscheidung über eine mögliche Wiederholung trifft in jedem Fall der Klassenrat. Dieser berät konstruktiv und fachlich fundiert, ob ein Schüler oder eine Schülerin die notwendigen Kompetenzen erworben hat, um die nächste Stufe erfolgreich zu bewältigen. Der Klassenrat reflektiert dabei die individuelle Lernbiografie und entscheidet nicht pauschal, sondern bezogen auf die konkrete Entwicklung der Lernenden.
Die Regierung setzt dabei auf die Unterstützung dieses pädagogischen Prozesses: Ziel ist es, Wiederholungen auf Ausnahmefälle zu begrenzen und die individuelle Förderung auszubauen. Durch Maßnahmen wie gezielte Aus- und Weiterbildungen zur Stärkung der Diagnosekompetenz, interne Förderkonzepte, Differenzierungsangebote sowie eine enge und systematische Kommunikation mit den Elternhäusern sollen die Schulen darin bestärkt werden, Kinder und Jugendliche frühzeitig zu unterstützen.
Die gesamte Politik im Hinblick auf Inklusion und Integration ist in diesem Kontext zu betrachten.
Damit soll erreicht werden, dass die Wiederholung von Klassen zunehmend an Bedeutung verliert, ohne jedoch das pädagogische Ermessen der Lehrkräfte im Klassenrat einzuschränken. Zentral bleibt, dass Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit für alle Lernenden gefördert werden.