Interpellation von Frau Mechtilde Neuens an Ministerin Klinkenberg
Zum Wohnungswesen in der DG
Regierungskontrollsitzung des Ausschusses IV vom 10.09.2025
Am 1. Januar 2020 ist die DG für das Wohnungswesen zuständig geworden und hat damit die Verantwortung für einen Bereich übernommen, der für die Lebensqualität unserer Bevölkerung von großer Bedeutung ist. Der Zugang zu einer bezahlbaren, gesunden und angepassten Wohnung ist eine wesentliche Voraussetzung für ein menschenwürdiges Leben, auch in Ostbelgien. Selbst wenn die Wohnungslage in anderen, vor allem urbaneren Regionen Belgiens und Europas noch viel brenzlicher ist, sollten wir die Probleme auf dem Wohnungsmarkt in unserem ländlichen Ostbelgien nicht unterschätzen, insbesondere weil sich aus der Grenzlage ein zusätzlicher Druck ergibt. Für zunehmend mehr Menschen ist es schwierig, auf dem privaten oder öffentlichen Wohnungsmarkt eine bezahlbare Mietwohnung zu finden. Immer mehr, vor allem junge Menschen, schaffen es trotz vorhandenem Berufseinkommen nicht, ein Eigenheim zu erwerben oder zu bauen. Entweder finden sie überhaupt kein oder zumindest kein erschwingliches Bauland oder aber sie sind nicht in der Lage, den von den Banken geforderten Eigenanteil an einer Kreditfinanzierung aufzubringen.
Darüber hinaus gibt es auch hierzulande einen steigenden Bedarf an neuen Wohnformen sowie an behinderten- und seniorengerechten Wohnangeboten. Mit anderen Worten: es besteht ein vielfältiger Handlungsbedarf und die Notwendigkeit einer langfristigen und nachhaltigen Wohnungspolitik, bei deren Planung und Umsetzung der Privatsektor und die öffentliche Hand auf Gemeinschafts- und Gemeindeebene eng und koordiniert zusammenarbeiten sollten.
In der vergangenen Legislaturperiode sind wichtige Weichen für die Gestaltung dieses Politikbereiches gestellt worden. Der ständige Bürgerdialog hat sich ebenso wie eine von der Regierung eingesetzte Expertengruppe mit dem Thema beschäftigt und interessante Schlussfolgerungen vorgelegt. Die Regierung hat dem Parlament im Oktober 2022 eine Orientierungsnote unterbreitet, die gründlich im Parlament diskutiert worden ist und in deren Verfolg das Dekret vom 6. Mai 2024 zur Abänderung des Gesetzbuches über nachhaltiges Wohnen und des Infrastrukturdekretes verabschiedet worden ist. In ihrer gemeinschaftspolitischen Erklärung vom 16. September 2024 unterstreicht die aktuelle Regierung die Bedeutung der Wohnungsfrage „als eine der größten Fragen unserer Zeit“ und kündigt sowohl für den privaten als auch für den öffentlichen Wohnungsbau konkrete Maßnahmen an. Damit steht sie nicht alleine da. Auch in den anderen belgischen Gliedstaaten werden Initiativen in Sachen Wohnungsbau ergriffen und der Europäische Ausschuss der Regionen hat auf seiner Plenartagung vom 14. und 15. Mai 2025 eine wichtige Stellungnahme zum von der EU-Kommission erarbeiteten Plan für erschwinglichen Wohnraum verabschiedet.
Doch was ist im ersten Jahr der Legislaturperiode bisher an Konkretem in Sachen Wohnungswesen geschehen? Kaum etwas! Wurden zumindest die in der Regierungserklärung angekündigten Absichten effektiv konkretisiert? Fehlanzeige! In Sachen Wohnungspolitik herrscht weitgehend Stillstand. Oder aber die Initiativen der Regierung waren so diskret, dass sie bisher selbst der interessierten Öffentlichkeit verborgen geblieben sind.
Zumindest hätte man erwarten können, dass die Regierung unmittelbar nach ihrer Einsetzung die Erstellung einer systematischen, umfassenden und permanenten Bestandsaufnahme des Wohnbestandes und des Wohnbedarfes in der DG und ihrer rund 120 Ortschaften in Angriff nimmt. Diese ist nämlich eine unerlässliche Voraussetzung für eine solide und zukunftstüchtige Wohnungspolitik. Dazu hatte die vorige Regierung bereits die Grundlage gelegt und dazu hätte eine leider versäumte Beteiligung an einem Interregprojekt in der Großregion einen wichtigen Beitrag leisten können. Auch von dem im inzwischen in Kraft getretenen Artikel 2 des Dekretes für den Beginn der Legislaturperiode vorgesehenen Aktionsplan zur Wohnungsbaupolitik fehlt bisher jede Spur.
In gewissen Fragen ist es sogar zu Rückschritten gekommen. Bereits in der Debatte über die Regierungserklärung vom 16. September 2024 haben Sie, Frau Ministerin, am 25. September angekündigt, dass die Regierung auf die im Dekret vom 6. Mai 2024 vorgesehenen und nach Überzeugung der SP-Fraktion gerade für junge Familien äußerst wichtigen Gegenfinanzierung des Eigenkapitals für den Ankauf von Wohnraum durch Privatpersonen zu verzichten gedenkt. Darüber hinaus haben die letzten Programmdekrete die Handlungsmöglichkeiten der sozialen Immobilienagenturen erheblich eingeschränkt.
Die größte Enttäuschung über das Regierungshandeln liegt jedoch in der Art und Weise begründet, wie die Regierung das Inkrafttreten des Dekretes vom 6. Mai 2024 gehandhabt hat. Laut Artikel 53 dieses Dekretes legt die Regierung das Datum des Inkrafttretens fest. Der entsprechende Erlass ist erst am 17. Juli 2025 verabschiedet worden und schließt einen Großteil der wichtigen Artikel dieses Dekretes aus. Mit anderen Worten: Anderthalb Jahre nach Verabschiedung des Dekretes sind wir noch meilenweit von dessen Umsetzung entfernt.
Von den 52 inhaltlichen Artikeln des Dekretes sind am 1. September 2025 lediglich 25 in Kraft getreten. Das sind weniger als die Hälfte der Artikel des Dekretes! Wichtiger als dieser quantitative Aspekt ist jedoch die Tatsache, dass die nicht in Kraft gesetzten Artikel sich auf besonders bedeutungsvolle Themen beziehen wie:
die Neuregelung und Erweiterung der Zugangsbedingungen;
- die Neuregelung der Wohnungszuweisungen und die Gestaltung der Wartelisten;
- die Neufestlegung der Mietpreisberechnung und der Mietdauer;
- die Neuregelung der Pflichten der Mieter, u.a. in Sachen Sprachkenntnisse, Eintragung beim Arbeitsamt oder Fehlbelegungen;
- die Folgen der Ablehnung eines Mietangebotes;
- die Modalitäten der sozialen Betreuung und der Hausmeisterfunktion;
- die Sanktionen beim Zuwiderhandeln.
In diesen und vielen anderen Bereichen besteht ein effektiver Handlungsbedarf. Durch das verzögerte Inkrafttreten und die fehlenden Ausführungserlasse werden die Handlungsmöglichkeiten der Kommunen, der ÖWOB und der sozialen Immobilienagenturen erheblich eingeschränkt und das Umsetzen einer effizienten Wohnungspolitik stark beeinträchtigt. Auch das Ergreifen innovativer Initiativen durch Gesellschaften wie Inclusio oder anderer Träger kann nicht ausreichend entwickelt werden.
Im Bereich der Investitionen sind bereits von der Vorgängerregierung sowohl bei der Sanierung als auch beim Neubau wichtige Maßnahmen ergriffen worden, die zurzeit umgesetzt werden. Da es sich zum Teil um zeitlich begrenzte EU-Mittel handelt, stellt sich die Frage, ob alle Baumaßnahmen zeitgerecht verwirklicht werden können. Außerdem wäre ein Rückgriff auf Investitionsmittel der Europäischen Investitionsbank anzustreben, so wie es andere belgische Teilstaaten und europäische Regionen in umfangreichem Maße getan haben.
Es darf bei alledem nicht vergessen werden, dass der öffentliche Wohnungsbau nur den kleineren Teil des Wohnungswesens abdeckt. Der Zugang zu bezahlbarem, oder wie man in Österreich zu sagen pflegt, zu leistbarem Wohnraum als Eigentümer oder Mieter hängt ganz wesentlich von dem privaten Wohnungsbau ab. Aber auch für die Gestaltung dieses Bereiches stehen der DG wichtige Handlungsinstrumente zur Verfügung, die sich einerseits aus der Zuständigkeit für das Wohnungswesen und andererseits für die Raumordnung ergeben. Dabei kommt es nach Auffassung der SP-Fraktion ganz wesentlich auf die gute Zusammenarbeit mit den Gemeinden an.
Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen möchte ich Ihnen, Frau Ministerin, folgende Fragen stellen:
- Wieso hat die Regierung anderthalb Jahre nach Verabschiedung des Wohnungsbaudekretes erst eine knappe Hälfte der Artikel dieses Dekretes in Kraft gesetzt und den größten Teil der inhaltlich wichtigen Bestimmungen ausgeschlossen?
- Wann beabsichtigt die Regierung die ausstehenden Artikel in Kraft zu setzen und die diesbezüglichen Ausführungsbestimmungen zu erlassen?
- Wie weit sind insbesondere die Vorarbeiten zur Neuordnung der Zugangs- und Verteilungsregeln für den sozialen Wohnungsbau vorangeschritten, für die das Dekret bereits zahlreiche konkrete Vorgaben enthält? Hat die ÖWOB diesbezüglich Vorschläge unterbreitet und wie bewertet die Regierung diese?
- Beabsichtigt die Regierung die Bestimmungen des Dekretes in Sachen soziale Betreuung und Hausmeisterfunktion zeitnah umzusetzen und hat sie die diesbezüglichen Kosten in ihre Haushaltsplanungen aufgenommen?
- Wie bewertet die Regierung die aktuellen Wartelisten bei der ÖWOB sowie den sozialen Immobilienagenturen und inwiefern ist sie bereit, die Rahmenbedingungen für den Abbau von Fehlbelegungen und Leerständen zu schaffen?
- Wird das laufende Investitionsprogramm der ÖWOB zeitgerecht durchgeführt oder drohen ein Teil der europäischen Gelder zu verfallen? Hat die Regierung bereits Initiativen ergriffen, um auf Mittel der europäischen Investitionsbank zur Finanzierung von Wohnungsbaumaßnahmen in der DG zurückzugreifen?
- Hat die Regierung inzwischen einen konkreten Aktionsplan mit der Gesellschaft Inclusio vereinbart, an deren Kapital die DG über die Proma-AG beteiligt ist?
- Welche Möglichkeiten sieht die Regierung für die Vertiefung der Synergien zwischen den beiden ostbelgischen sozialen Immobilienagenturen und der ÖWOB und wie beabsichtigt sie, diese Synergien konkret voranzutreiben?
- Beabsichtigt die Regierung, in Zusammenarbeit mit den Kommunen die Erschließung und die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum im privaten Wohnungsbau zu erweitern, indem sie eine gezielte Kooperation mit dem privaten Bausektor ins Auge fasst und die diesbezüglichen Möglichkeiten der Raumordnungszuständigkeit nutzt?
- Hegt die Regierung weiterhin die Absicht, auf die im Dekret vorgesehene Möglichkeit der Gegenfinanzierung des Eigenkapitals beim Ankauf einer ersten Wohnung als eigene Wohnung zu verzichten? In der Debatte über die gemeinschaftspolitische Erklärung haben Sie, Frau Ministerin, diesen Verzicht u.a. mit dem Hinweis auf die Senkung der Einregistrierungsgebühren in der Wallonischen Region begründet. Mittlerweile hat sich erwiesen, dass diese Maßnahme zwar zu einer substantiellen Erhöhung der Immobilienpreise, aber nur sehr begrenzt zur Verbesserung der Situation für Bau- oder Kaufinteressierten mit kleinem oder mittlerem Einkommen führt. Wie steht die Regierung hier und heute zu dem im Artikel 6 des Dekretes vorgesehenen Instrument der bedingt rückzahlbaren Vorschüsse?
- Wann beabsichtigt die Regierung, den für den Beginn der Legislaturperiode im Dekret vorgesehenen Aktionsplan zur Wohnungsbaupolitik dem Parlament vorzulegen und wieweit sind die Vorarbeiten zur ebenfalls in diesem Dekret vorgesehenen immobilienbezogenen Datenbank vorangeschritten?
- Ist in absehbarer Zukunft mit einer langfristigen und nachhaltigen Initiative zur Konsolidierung und Weiterentwicklung des Wohnungsstandortes Ostbelgien zu rechnen, die substanziell zur Zukunftstüchtigkeit unserer Region beiträgt und die in engem Schulterschluss zwischen Privatsektor und öffentlicher Hand auf Gemeinschafts- und Gemeindeebene umgesetzt wird?