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Ukrainische Flüchtlingskinder: Aufnahme in den ostbelgischen Schulen

Mündliche Frage von Herrn Charles Servaty an Ministerin Lydia Klinkenberg

Zur Aufnahme von ukrainischen Kindern in den ostbelgischen Schulen

Der 24. Februar 2022 markiert eine Zeitenwende in der europäischen Sicherheitspolitik. Putins völkerrechtswidriger Angriffskrieg hat leider auch unmittelbar konkrete Folgen in ganz Europa. Millionen Menschen aus der Ukraine, hauptsächlich Frauen und Kinder, sind auf der Flucht, um ihr Leben zu retten.

Inzwischen ist bereits vieles über die Situation bekannt. Wenngleich man noch lange über die gesamte Situation, das Zustandekommen und die Folgen debattieren könnte, möchte ich mich hier auf die Folgen für die ostbelgischen Schulen konzentrieren. Hier ist es wichtig, dass wir uns auf die Aufnahme der geflüchteten Kinder bestmöglich vorbereiten.

Für die betroffenen Kinder ist es sicher schwierig genug, ihre Heimat verlassen zu müssen. Und die Mütter leiden in gleich mehrfacher Hinsicht, wenn sie allein mit ihren Kindern und weit von der Heimat entfernt sind. Viele werden wohl noch mit der Angst um das Wohlergehen ihrer in der Heimat verbliebenen Geliebten leben müssen. Umso wichtiger ist es, dass die Kinder bestmöglich aufgefangen werden. Und da spielt die Schule eine ganz wesentliche Rolle.

Hierzu lauten meine Fragen:

  • Wie werden die Schulen bei der Aufnahme von geflüchteten Kindern unterstützt?
  • Werden neben den gewöhnlichen Mitteln besondere Mittel für die Unterstützung der Schulen in dieser Situation vorgesehen?
  • Können Sie den dazu benötigten finanziellen Bedarf bereits annähernd einschätzen?

https://youtu.be/64Tnt3KAChA

Die Antworten der Ministerin:

Sehr geehrte Frau Vorsitzende,
sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

Putins Angriffskrieg in der Ukraine hat eine Flüchtlingswelle ungeahnten Ausmaßes ausgelöst, die für die Betroffenen mit großem Leid, Ängsten und Verlusten verbunden ist.
Der ukrainische Bildungsminister hat sich kürzlich per Brief an mich gewandt und um Unterstützung gebeten, die ich ihm selbstverständlich zugesichert habe. Gestern habe ich ihm in einem informellen EU-Bildungsministerrat, an dem ausnahmsweise auch er
teilgenommen hat, im Namen aller belgischen Bildungsminister erneut unsere Solidarität bekundet und versichert, dass wir alles unternehmen, um den geflüchteten Kindern und Jugendlichen den Zugang zu Betreuung und Bildung zu gewährleisten.

Um die Geflüchteten bestmöglich zu empfangen und zu unterstützen, hat die Regierung der Deutschsprachigen Gemeinschaft ein Maßnahmenpaket auf den Weg gebracht.
Situationen, die aus bewaffneten Konflikten hervorgehen, wirken sich insbesondere auf Kinder aus, die es besonders zu schützen gilt. Gerade in der Kinderbetreuung und in der Bildung bereiten wir uns daher mit Hochdruck auf den Empfang, die Betreuung, die Begleitung und die Beschulung von Kindern und Jugendlichen aus der Ukraine vor.
Grundsätzlich verfolgen wir das Ziel, geflüchtete Kinder und Familien bestmöglich zu betreuen und geflüchtete Schüler schnellstmöglich in den Regelschulbetrieb zu integrieren, um sie so in ein den Umständen entsprechend möglichst geregeltes Lebensumfeld zurückzuführen.
Das Ziel ist es, das Recht auf Bildung und die Chancengerechtigkeit zu gewährleisten.
Durch gezielte Unterstützungsangebote im sprachlichen und psychologischen Bereich soll ihre Persönlichkeits- und Kompetenzentwicklung unterstützt werden und ihre gesellschaftliche Teilhabe und spätere berufliche Entwicklung gewährleistet werden.
Dies erfordert angesichts der hohen Zahl erwarteter Flüchtlinge entsprechende Vorbereitungen seitens der Regierung und des Ministeriums der Deutschsprachigen Gemeinschaft sowie aller beteiligten Akteure.

Ich erlaube mir, zu Beginn noch mal die Prinzipien zur Beschulung von erstankommenden Schülern – kurz: EAS – in Erinnerung zu rufen:
Die Beschulung der EAS erfolgt abhängig vom Alter und vom Sprachniveau entweder in der Regelklasse oder in einer Sprachlernklasse bzw. einem Sprachlernkurs.

Im Kindergarten wird zunächst vom Immersionsprinzip ausgegangen. Die Kinder sollen im spielerischen Umgang die Unterrichtssprache erlernen. Wird ein bestimmter Prozentsatz an EAS erreicht, sodass das Immersionsprinzip nicht mehr greift, wird den betroffenen
Einrichtungen zusätzliches Stellenkapital gewährt.
Kinder im 3. Kindergartenjahr und Schüler in der Primarschule, die die Unterrichtssprache nicht mindestens auf Niveau A2 des GERS beherrschen, können Sprachlernklassen oder Sprachlernkurse besuchen.
Sekundarschüler, die die Unterrichtssprache nicht ausreichend beherrschen, besuchen Sprachlernklassen.

Gemäß dem EAS-Dekret wird den Schulen nicht nur Stellenkapital für die Organisation von Sprachkursen und Sprachlernklassen zur Verfügung gestellt, sondern auch zur anschließenden Eingliederung der Schüler in die Regelklasse.

In den Sprachlernklassen unterrichten Pädagogen, die über eine Zusatzausbildung in Deutsch als Zweitsprache verfügen. Aufgrund der Flüchtlingswelle werden mehr Sprachlernkurse und Sprachlernklassen organisiert werden müssen und somit mehr Lehrer
benötigt. Deshalb wurde das Unterrichtspersonal aufgerufen, sich bei Interesse beim jeweiligen Träger zu melden. Wir haben einen entsprechenden Aufruf auf dem Bildungsserver veröffentlicht und die Schulleiter gebeten, ihre Personalmitglieder gezielt auf den Aufruf hinzuweisen. Derzeit haben wir noch keinen Überblick über die Resonanz des Aufrufs oder über die Anzahl Personalmitglieder, die einer Weiter- bzw. Fortbildung Deutsch als Zweitsprache (DAZ) folgen möchten. Um Personalmitglieder, die noch nicht über die erforderliche Ausbildung verfügen, entsprechend zu qualifizieren, wird kurzfristig eine Weiterbildung und im Herbst eine neue Auflage der Ausbildung in Deutsch als Zweitsprache in Kooperation mit der TU Dortmund organisiert. Die Kosten für die Weiterbildung im Frühjahr und die DaZ-Ausbildung im Herbst werden sich voraussichtlich auf circa 35.000 EUR belaufen.

In Zeiten von Lehrermangel werden die Schulen aufgrund des erhöhten Bedarfs an Lehrern vor zusätzliche Herausforderungen gestellt.
Inwiefern ukrainische Lehrer rekrutiert werden können, wird zurzeit geprüft. Hier sind jedoch noch viele Fragen ungeklärt. Wenn überhaupt, sollte es sich bei der Beschulung in der Herkunftssprache um eine komplementäre Maßnahme handeln, da eine schnellstmögliche Eingliederung in die Regelklassen für die geflüchteten Kinder und Jugendlichen wichtig ist.
Wir rechnen derzeit mit der Ankunft von mehreren Hundert Kindern bis Ende April, wissen jedoch nicht, wie alt die Kinder sein werden, d.h. ob sie bereits schulpflichtig sind.

Wie viel zusätzliches Stundenkapital und damit verbundene Gehaltskosten durch die Flüchtlingswelle generiert werden, ist momentan nicht zu berechnen, da es davon abhängt, wie die Kinder sich auf die verschiedenen Niederlassungen verteilen werden und wie alt sie sind, d.h. welche Schulebene sie besuchen.

Um den Schulen, die viele erstankommende Schüler aufnehmen werden, zu ermöglichen, ihrem Bildungsauftrag bestmöglich nachzukommen, wird derzeit darüber beraten, inwiefern den betroffenen Schulen neben dem Stellenkapital für Sprachlernkurse und – klassen auch zusätzliche finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt werden können. In den ersten Überlegungen haben wir uns an der Höhe der Beträge, die pro Schüler pro Schulebene ausgezahlt werden, d.h. Funktionssubventionen, Mittel für pädagogische Zwecke und im Grundschulwesen die Mittel zur Reduzierung der Schulbesuchskosten, orientiert.

Um die Bearbeitungszeit zu minimieren, wird die Einschreibung von erstankommenden Schülern administrativ vereinfacht.

Zudem wird die Deutschsprachige Gemeinschaft bei Bedarf und im Rahmen der bestehenden Möglichkeiten eine Schülerbeförderung für die erstankommenden Schüler gewährleisten.

Zu all diesen Themen werden wir uns am kommenden Mittwoch im Rahmen einer Schulleiterversammlung mit den Schulen austauschen.

Natürlich werden auch Maßnahmen ergriffen, die über die reine Beschulung hinausgehen.
Die Unterstützungsangebote sind vielfältig.
Kaleido hat sich bereits mit einem Schreiben an Eltern und Lehrende gerichtet, die mit ihren Kindern über den Krieg sprechen möchten. Durch Handlungsempfehlungen und Hilfestellungen hat der Dienst Unterstützung angeboten und das Angebot unterbreitet, bei konkreten Fragen und Anliegen als Ansprechpartner zur Verfügung zu stehen.
Kaleido begleitet natürlich auch die betroffenen Kinder, Jugendlichen und ihre Familien.
Ziel ist die emotionale Stabilisierung und das Auffangen der Betroffenen. Eine Beratung und Begleitung kann sowohl für direkt Betroffene, als auch für Familien, die geflüchtete Menschen aufnehmen und diesbezüglich Fragen haben und Unsicherheit verspüren,
angeboten werden.
Der Dienst verfügt zudem über ein Team von ca. 10 Mitarbeiterinnen, die in der Krisenintervention geschult sind. Dieses Team bereitet zurzeit Kaleido Mitarbeiterinnen der verschiedenen Schulteams spezifisch auf die Begleitung der Flüchtlinge vor. Zu den
Angeboten von Kaleido gehören Interventionen in Klassen, die Beratung der Lehrer und auch Einzelbegleitungen von besorgten Kindern mit Familie in der Ukraine. Ebenfalls bietet Kaleido Begleitung für Kinder und Jugendliche an, die durch Bilder und Nachrichten
beunruhigt sind und Ängste verspüren.

Aber nicht nur Maßnahmen im Bereich der psychischen, sondern auch der physischen Gesundheit sind erforderlich, so bereiten sich die Kollegen aus dem Bereich Gesundheit
unter anderem darauf vor, die Geflüchteten, darunter auch die Kinder und Jugendlichen, gegebenenfalls zu impfen (Masern, Polio, Corona).

Seit September 2016 ist Info-Integration Anlaufstelle für Schulen, die sich mit dem Thema Migration, Integration, Flucht und Asyl beschäftigen wollen. Das Angebot umfasst unter anderem Materialien zur Unterrichtsgestaltung, Informationsmaterial, Links, Weiterbildungsmöglichkeiten, Elternarbeit und konkrete Konfliktberatung in Zusammenarbeit mit MEDIAN. Außerdem bietet Info-Integration in den Schulen Animationen an zu Themen wie „Menschenrechte“ und „Flucht und Asyl“.
Sammlungen von digitalen Unterrichtsmaterialien zum Ukrainekrieg stellen zudem das Institut für Demokratiepädagogik und die Fachberatung Medien zur Verfügung.

Aufgrund der Tatsache, dass die Geflüchteten eine vorübergehende Aufnahmegenehmigung und somit eine Arbeitserlaubnis erhalten und sie teilweise über Deutsch-, Französisch- oder Englischkenntnisse verfügen dürften, wird ein Teil der
Flüchtlinge voraussichtlich einer Beschäftigung nachgehen können. Für die Kinderbetreuung bedeutet das, dass die Regierung über eine Anpassung der rechtlichen Grundlage bestehenden Kinderbetreuungsstrukturen die Erlaubnis erteilen wird, ihre Betreuungskapazitäten vorläufig zu erhöhen.
Für die außerschulische Betreuung wird die Norm der Höchstanzahl Kinder (3-12 Jahre) abhängig von der Größe des Betreuungsortes ausgesetzt und die Verantwortung der Überschreitung obliegt somit dem Träger.
In der Kleinkindbetreuung (0-3 Jahre) werden kurzfristig eine Reihe von Anpassungen vorgenommen, um die Betreuung der geflüchteten Kinder gewährleisten zu können.

Folgende Änderungen haben wir diese Woche mit dem RZKB und Kaleido besprochen:

  • Es besteht gemäß Erlass bereits die Möglichkeit, auf Antrag die Betreuung ausnahmsweise von 4 auf 6 Kleinkinder zu erweitern. Diese Ausnahme ist zurzeit nur möglich, wenn eine Tagesmutter mindestens 1 Jahr die Betreuungstätigkeit ausübt. Jetzt wird die Möglichkeit geschaffen, die Ausnahme bereits nach 6 Monaten Tätigkeit zu erteilen.
  • Für alle Tagesmütter (konventionierte und selbstständige Tagesmütter, Tagesmütter-Häuser) wird zudem die Möglichkeit geschaffen, ausnahmsweise 1 zusätzliches Kleinkind/Tagesmutter, d.h. also insgesamt 7 Kleinkinder, zu betreuen.
  • Die Kinderkrippen erhalten die Möglichkeit, ihre Kapazität jeweils um 4 Kleinkinder zu erweitern.
  • Die Anzahl Plätze mit verringerter Elternbeteiligung wird von einem Platz pro Tagesmutter auf zwei Plätze pro selbstständige Tagesmutter erhöht.

Schätzungsweise könnten so insgesamt 50 zusätzliche Betreuungsplätze entstehen. Diese Zahl bitte ich aber noch mit Vorsicht zu behandeln, da zum jetzigen Zeitpunkt keine genauen Vorhersagen gemacht werden können. Das RZKB bzw. Kaleido beurteilen, welche
Tagesmutter für ein zusätzliches Kind in Frage kommt. Wir rechnen mit Kosten in Höhe von 130.000 EUR für diese 50 zusätzlichen Betreuungsplätze.

  • In den Empfangszentren soll zudem eine Kinderbetreuung eingerichtet werden, um den Müttern Behördengänge zu ermöglichen. Begonnen wird mit dem Standort Bütgenbach.
    Bei Bedarf kann auch ein Angebot in Burg-Reuland und Eupen geschaffen werden. Hierfür werden zusätzliche Mittel zur Verfügung gestellt. Diese sind zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht exakt chiffrierbar, da wir nicht wissen, wie viele Kinder in der neu zu schaffenden Betreuungsstruktur im Empfangszentrum betreut werden.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.